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Ganz ungewöhnlich oder ganz normal? Zum Phänomen des Abschwächens durch das Intensivierungselement ‚ganz‘

André Meinunger


Pages 183 - 214



Unter bestimmten Bedingungen wirkt das Intensivierungselement ganz nicht verstärkend, sondern löst eine abschwächende Lesart für das modifizierte Element aus: Während ‚Die Kette war ganz teuer‘ immer bedeutet, dass das fragliche Schmuckstück sehr teuer war, kann ‚Das Buch ist ganz interessant‘ bedeuten, dass dieses Buch einigermaßen interessant, jedenfalls nicht uninteressant ist, aber eben auch nicht sonderlich interessant. Diese Beobachtung ist nicht neu, aber das Phänomen wurde äußerst selten bemerkt, nie richtig untersucht, und eine Erklärung steht aus. In Anlehnung an Ansätze zur Beschreibung des Phänomens ‘absoluter Komparativ’ (‚eine ältere Dame‘, ‚ein größerer Betrag‘) wird in vorliegendem Beitrag versucht, die entscheidende Vergleichs- und Bezugsgröße auszumachen. Es wird argumentiert, dass dies auch hier ein gewisser Normalwert ist. Ganz zielt dann auf die maximale Nähe zu diesem Wert (Standard, Norm, Prototyp), wobei als pragmatisches Nebenprodukt (Implikatur: Negation alles Höheren auf der Horn-Skala) der abschwächende Effekt eintritt. Diese pragmatische Prozedur ist auf semantisch charakterisierbare Adjektive beschränkt. Im Artikel werden drei einschlägige Klassen herausgearbeitet: ‘gemäßigt positive’ und zwei Typen von neutralen Adjektivausdrücken. – Es wird außerdem gezeigt, dass dieser Implikatur-induzierende Schlussprozess in verschiedenen Sprachen mehr oder weniger weit ‘grammatikalisiert’ ist.

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