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Die germanischen Sprachen und die Reflexivierungstypologie

Theo Vennemann


Seiten 3 - 44



In diesem Artikel werden die germanischen Sprachen im Rahmen einer einfachen Typologie der pronominalen Reflexivierungsmittel beschrieben, die sich an HEINE 2005 und VENNEMANN 2013 orientiert. Es werden drei Haupttypen unterschieden, wobei weitere Indices feinere Unterscheidungen erlauben:
Typ R0 Kein Reflexivum. – Alle Personalpronomina erlauben eine reflexive Lesart.
Typ R3 Ein Reflexivum nur in der 3. Person. – Die Personalpronomina der 1. und 2. Person erlauben einen reflexiven Gebrauch, aber die Personalpronomina der 3. Person
sind anti-reflexiv.
Typ Roe Reflexiva in allen Personen. – Alle Personalpronomina sind anti-reflexiv.
Als konservativ erweisen sich die skandinavischen germanischen Sprachen, die im bereits ur-indogermanischen Typ R3 verharren. Auch das Hochdeutsche ist trotz Veränderungen immer noch im Typ R3. Anders das Jiddische, die ingväonischen Sprachen (Altniederländisch, Altsächsisch, Altfriesisch und Altenglisch) und dann unter diesen alle außer dem Friesischen:
Jiddisch: R3 6 Roe
Ingväonisch: R3 6 R0
Niedersächsisch, Niederländisch (schriftsprachlicher Standard): R0 6 R3
Englisch: R0 6 Roe
Es wird gezeigt, dass für genau diejenigen germanischen Sprachen, die einem Typuswandel unterlagen, auf unabhängiger Grundlage Sprachkontakt mit Sprachen des jeweiligen Zieltyps anzunehmen ist – im Einklang mit der allgemeinen These, dass rapider Typuswechsel überhaupt nur durch Sprachkontakt zustande kommt. Im Mittelpunkt der Untersuchung steht das innerhalb der Germania einzigartige Reflexivierungssystem des Englischen und seine Entwicklung (R3 6 R0 6 Roe), die nur durch einen zweifachen Sprachenwechsel zu erklären ist.

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