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Zur Theorie der vormodernen Orthographien

Straßburger Schreibsysteme als Erkenntnisgrundlage

Arend Mihm


Pages 271 - 309



Die diachronische Dimension der deutschen Orthographie ist bis heute unzureichend geklärt und wird auch von den vielversprechenden Neuansätzen der Schriftlinguistik noch nicht als Problem erkannt, sondern als Nicht-Orthographie weitgehend ausgeklammert. Ursache dafür sind vor allem die großen Kontraste, die zwischen dem heutigen Orthographiezustand und den historischen Schreibnormen bestehen, so dass sich die Aufgabe ergibt, die andersgearteten Regelsysteme, die damals die schriftliche Kommunikation sicherten, zu rekonstruieren. Dazu bietet das Verfahren des seriellen Vergleichs gleichgerichteter Schreibsysteme eine empirische Grundlage, das hier am Beispiel Straßburger Schriftzeugnisse exemplifiziert wird. Zur Interpretation der Befunde dienen die Quellen zur historischen Orthographielehre und zum damaligen Status der volkssprachigen Schriftlichkeit. Die auf diese Weise gewonnenen Ergebnisse lassen erkennen, dass die vormodernen Regelsysteme im Unterschied zu allen heutigen europäischen Orthographien einen eigenständigen Orthographietyp darstellen, dessen Besonderheit darauf beruhte, dass er das Vorhandensein der lateinischen Erstschreibsprache voraussetzte. Dabei werden auch die damaligen Vorteile dieses Orthographietyps deutlich und die Gründe, warum er über 900 Jahre den heutigen Regelsystemen vorgezogen wurde.

The diachronic dimension of the German orthography has not been sufficiently explained until now and even the new discipline of grapholinguistics offers no theoretical approach to the historical state, but disregards it as non-orthography. This is caused by the huge contrasts between the present regulation of orthography and the writing norms of the past. Consequently, it poses a challenge to detect those underlying rules, which made the written communication successful at that time. As an empirical basis for this investigation serves the method of serial comparison of analog writing systems, which is exemplified here by manuscripts from the city of Strasbourg. In order to interprete these data the historical sources of orthographical doctrines and of the special conditions of vernacular writing are consulted. This all leads to the conclusion, that in constrast to all present European orthographies the pre-modern writing norms represent an autonomous type of orthography, which was based on the preexistence of Latin as a first written language. Additionally, the advantages of this orthographical type become apparent and the reasons, why it had been preferred to the regulations of today for 900 years.

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