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Metonymie, Mismatch, Remotivation: semantische Prozesse bei der Grammatikalisierung von ‚werden‘ als Passiv- und Futurauxiliar

Volker Harm


Seiten 129 - 157



Zusammenfassung: Die Grammatikalisierungsprozesse, die zum Futur- beziehungsweise Passsivmarker ‚werden‘ geführt haben, sind teilweise noch ungeklärt. Eine vergleichende Betrachtung der beiden Wandelerscheinungen kann daher hilfreich sein. Antworten auf die bisher offenen Fragen sind dabei vor allem von pragmatischen Hypothesen zu erwarten, die die Interaktion von Sprecher und Hörer in den Mittelpunkt der Modellierung stellen. Erklärungsansätze, die sprachlichen Wandel als bloßes Reparaturphänomen betrachten oder diesen allein als Folge beliebiger Kontextverteilungen beschreiben, erscheinen dagegen weniger ergiebig. Im Rahmen eines pragmatisch orientierten Modells werden in dem Beitrag folgende Enkodierungs- beziehungsweise Dekodierungsstrategien für die Herausbildung des ‚werden‘- Futurs beziehungsweise ‚werden‘-Passivs plausibel gemacht: Von Seiten des Sprechers geht es hauptsächlich um die Setzung von Garantiesignalen für die Geltung einer futurischen beziehungsweise passivischen Ereignisperspektivierung. Diese werden überwiegend über Metonymien hergestellt. Die Dekodierungsstrategie des Hörers geht dagegen vom Prinzip der Sinnkonstanz aus: Auf der Basis einer maximalen Sinnerwartung beseitigt der Hörer Inkongruenzen (‘Mismatches‘) zwischen Äußerung und Kontext/Referenz. Die hörerseitige Sinnstiftung zieht in einem letzten Schritt auch formale Anpassungen an die neue Passivbeziehungsweise Futurfunktion des Verbs (Remotivierungen) nach sich, das heißt beim Passiv den Verlust der Flexion des Partizips sowie beim Futur den Ersatz der älteren Form mit Partizip Präsens durch die rezente Kombination mit dem Infinitiv.

Abstract: The grammaticalization processess leading to a passive resp. future marker with Germ. ‚werden‘ are not yet well understood. A comparison of the two changes might be helpful, therefore. In this contribution, a pragmatic approach focusing on the interaction of speaker and hearer is presented. This type of hypothesis is preferred over other approaches which describe language change mainly as the result of contextual contingencies or as the repair of deficiencies in the language system. In such a pragmatically oriented model, strategies of encoding resp. decoding of the speaker/hearer are considered as the triggering factors of the changes in ‚werden‘: On the side of the speaker, it is the signalization of validity of his utterance by the use of metonymies which is prevalent, whereas the decoding strategy of the hearer relies on the expectation that the utterance makes sense and fits to the rules. The expectation that the utterance must be maximally motivated, finally, results in formal changes, i.e. the loss of inflectional endings in the past participle of ‚werden‘-passive resp. the replacement of the present participle by the infinitive in case of the ‚werden‘-future.

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